Bottle⛈️Rain
Tour Demenz – Thailand

Tour Demenz – Thailand

Durch die Wolken 

Berlin Istanbul Bangkok

Wir flogen ca. 16 Stunden. Ingrid verirrte sich noch manches Mal zwischen Cockpit, Flugzeugausgang und Toilette.

Irgendwann, hoch über dem Iran oder war es Indien, wollte sie zum Pinkeln zu den Piloten ins Cockpit steigen.

Es wurde nicht viel geschlafen. Ingrid war ziemlich crazy unterwegs und die Flugbegleiter waren, trotz ihrer sonst freundlich antrainierten Facon, schon echt genervt von ihr.

Aber so ist das halt, auch durch diese Wolkendecke mussten wir durch, ohne zusammen abzustürzen und Wolken sind ja nur Gedanken, durch die wir flogen, in dieser einen und einzigartigen Nacht.

Da war es schon eher witzig, wenn sie sich wieder einen anderen Sitzplatz suchte und dabei die Leute weckte, um die anderen Passagiere, auf dem Weg nach Thailand, mit dem Bombenangriff auf Dresden oder mit ihrer Cousine Erna in Schlesien vollzuquatschen.

Aber ich hätte sie auch fast erwürgt, im Flieger von Bangkok nach Ranong. Es kam öfters mal vor, dass wir uns gegenseitig ins Gesicht spuckten oder sie mir ins Gesicht schlug, worauf ich ihr dann auch an die Gurgel ging. Selbst im Flugzeug! Das war was Anderes, als alle 8 Stunden ne frische Schicht unbeteiligter Personen, die emotionslos sind. Zwischen uns lief alles rein. Es wurde auch sehr persönlich abgerechnet. Alte Gräben brachen immer wieder auf.

Allerdings ist es immer noch besser, wenn es hin und wieder zu derartigen, wirklich unschönen Situationen kommt, als vollgedröhnt mit Medikamenten, wie es die Gesellschaft erwartet, im Altersheim am Sabbertisch zu sitzen und darauf zu warten, dass jemand kommt, der doch nicht kommt. Außer dem Tod irgendwann.

Landung ohne Absturz 🚀

Wir landeten tatsächlich noch in Bangkok und pesten mit dem Rollstuhl durch Wolken von Glück in den Flieger nach Ranong, ohne abzustürzen, und erst im Taxi zum Pier, wo das Slow-Boat zur Insel parkte, fiel mir auf, dass es auf der Insel zwar ein Behelfskrankenhaus gab, aber keine Autos.

Transportmittel waren nur Motorräder, doch Ingrid war niemals in ihrem Leben Motorrad gefahren, hatte niemals auf einem gesessen oder es auch nur berührt.

Oh je, was, wenn sie bockte und sich weigerte, ein Motorrad zu besteigen? Ich konnte sie ja nicht über die Insel tragen!

Ich hatte völlig vergessen, ihren Transport zu planen. 

Alles war einfach weitestgehend ungeplant. Wir waren einen Abend vor Abflug noch zusammen im Suicide Circus gewesen.

Ich hatte vor Abflug zwar Basics geklärt, aber keine Details, wie Versicherung, Passport, Visa, Tickets, und schon gings los auf die Reise.

Die Ankunft

Endlich saßen wir zusammen im Slow Boat Richtung Koh Phayam, Ranong, Thailand, ca 2,5 Stunden Wasserweg in der Andaman Sea, direkt an der Grenze zu Myanmar, wo sich im Laufe der Geschichte ein grausamer Organ Krieg entwickelt hat, bei dem die Militärs junge Menschen von Pick Ups aus erschießen, um deren Organe noch auf der Straße herauszuschneiden und in Kühlboxen direkt nach China zu verschicken. Eine sehr traurige Geschichte, zu welcher ich an dieser Stelle nicht weiter eingehen werde, denn als wir dort mit unserem Boot vorbeituckerten, war die Welt noch in Ordnung und der Ausblick vom Bord aus ging über weite und greifbar nahe, unbewohnte und dicht bewachsene Urwaldinseln, durch die sich unser Boot die Wege ershipperte. Ingrid war straight dabei, quatschte mit den Thai über Polen und Dresden und flirtete mit Kindern, die ihr natürlich skeptisch gegenüber waren. Aber Ingrid genoss den Wellengang. Befreit von Medikamenten im Bauch musste sie noch nicht einmal kotzen und die Sonne ☀️ brannte uns nach den langen Flügen auf der Haut. 

Während Ingrid quatschte, seilte ich mich an der Nase des Bootes ab und ließ mich in der Sonne mit den Wellen hängen. Vögel und irre viel Plastik Müll im Wasser begleiteten unsere Bootstour. 

Das war sehr beruhigend, denn ein Grund, warum wir überhaupt nach Koh Phayam fuhren, war ein wunderschönes Upcycling-Projekt, welches ich bereits zuvor gestartet hatte.

Als ich das erste Mal mit meinem Mitarbeiter Evgeni in Koh Phayam gelandet war, da stolperte ich über riesige Berge und Teppiche aus Plastikmüll, im Wasser wie auch am Strand.

Der ganze Bill Gates Coca-Cola Müll hatte die Andaman Sea erobert. Auch hier, wie schon bei meinem Projekt in Nepal, wo ich bereits im Erdbeben begonnen hatte, erdbebensichere Häuser aus Plastikflaschen zu bauen, gab es Plastikflaschen ohne Ende, welche die Leute auch im Regenwald entsorgen.

Weil niemand die Ressourcen zu schätzen weiß, war für mich klar, diese Insel ist im Umbruch und soll für Touristen erschlossen werden. Wir versprachen jeder Flasche, die wir trafen, sie zu nutzen und einer sinnvollen und wunderschönen Verwertung zuzuführen. 

Nach Nepal waren Plastikflaschen für mich Wesen, die mich anbrüllten, etwas aus ihnen zu machen. Ich versprach ihnen damals, ich würde zurückkommen, müsse nur eben meine Mutter abholen. So ging das los. 

Versprochen getan!

Wir waren zurück und das Slow Boat erreichte die Insel. 

Zu meinem Vergnügen saß Ingrid rucki zucki auf dem Motorrad. Ich hatte einfach keine Zweifel aufkommen lassen und tat so, als wäre ein Motorrad auch nur ein Auto.

 

Innerlich zitterte ich, ob sie wohl auf ein Motorrad steigen würde, diese Klavierspielerin aus dem zweiten Weltkrieg.

Ingrid bestieg das Motorrad, als wäre sie ein Leben lang schon immer eine Bikerbraut gewesen. Da sass sie, die 84 Jahre alte Lady, bei mir hinten drauf und tatsächlich gab es niemals auf dem Trip Zweifel daran, im falschen Auto zu sitzen.

Wir knatterten zur „Lazy Hut“ am Ao Yai Beach an die Sonnenuntergangsseite und ich holte Tan ran. 

Sie war Masseurin und wir organisierten sie als Begleitung für Ingrid. Sie sollte sich um meine Mutter kümmern, sie massieren und die Pampers checken. 

So ging es weiter. Die meiste Zeit hingen wir in der Sonne ☀️ und sie machten den ganzen Tag über gar nix, außer sich zu sonnen.

Ich glaube heute, Ingrid hätte tatsächlich mehr Bock auf Action gehabt, AC⚡DC & Co. Aber ich konnte ihr nicht mehr bieten als einen Platz an der Sonne.

Fundee

Als wir eines Tages zu meinem Motorrad kamen, saß dort plötzlich eine schwarze Hunde Töle bei mir auf dem Lenkrad, glotzte mich mit Pipi in den Augen fragend an, ob dieses Motorrad meine Maschine sei, und ob ich den Bock nicht mal eben starten wolle. Der Grund war einfach. Ein riesiger Pittbull, eine Kampfmaschine von Hund, wie aus dem Bilderbuch, spielte mit seinen Muskeln, um den mir noch unbekannten schwarzen kleinen Hund zu fressen.

Ich verstand das schwarze, kleine Wesen, startete das Motorrad und rettete das Tier aus Pitbulls Klauen. 

Als wir am nächsten Morgen erwachten, sass da wieder dieser Hund am Motorrad, dem ich den Namen Fundee gab. 

Fundee heisst in Thailand wunderschöner Traum. Fundee war schwarz wie die Nacht wenn alle träumen und nach dem Pitbull-Albtraum, begann für Fundee und uns ein wunderschöner Traum. Fundee saß wieder auf dem Motorrad und wedelte freudig, ich sollte ihn fortan mitnehmen auf dem Motorrad, wohin wir auch fuhren, auf dieser 4×4 km grossen Insel.

 Wir waren fortan eine verrückte kleine Familie, eine demente Biker Oma,  ein motorradsüchtiger Hund, eine Masseurin, original Thai (give me your Money give me your money) und ich im Rausch der Flaschen für mein Projekt, welches ich direkt auf der Sonnenaufgangsseite neben dem Tempel startete. 

Tokeh Land

Der Platz war gefunden. Wir übernahmen ein bankrottes, bis auf die Grundmauern zerstörtes Ressort von Toy, der Besitzerin, nach 2000 Runden über die Insel.

Es war der erste Platz, den ich ausgemacht hatte und es war Liebe auf den ersten Blick.

Es dauerte etwas, bis ich den Platz erschließen konnte, denn ich hatte keine Lust groß Miete dafür zu bezahlen, dass ich zum „Müllmann“ der Insel mutierte und der Insel Touristen durch tolle Ideen organisierte.

Normalerweise hätten sie mich fördern und unterstützen müssen, jedoch niemand kannte mich und viele erzählten hinter meinem Rücken, ich sei nur ein Spinner, einer der den Schuss nicht gehört hat.

Allerdings wurde Evolution immer von Spinnern geschrieben und gemacht und nicht von den Idioten, die sich am Ganya-Joint nuckelnd gegenseitig die Köpfe über einem zerbrechen. 

Diese Gruppen, die hinter deinem Rücken labern und sich eifersüchtig gegenseitig hochschaukeln gab es genug. 

Insbesondere nachdem wir starteten.

Die können sogar richtig gefährlich werden, denn Eifersucht und Gruppenzwang suchen sich gerne ihre Feindbilder. Mit all dem hatte ich genug zu tun.

Sie gönnen dir nicht einmal den Müll und erklären Dich zum Dieb, wenn du ihren Garten davon befreist. 

Solange jedoch Ingrid, der Hund, meine Pflegehilfe und ich zusammen auf dem Motorrad unsere Runden über die Insel drehten, war die Welt in Ordnung.

Viele Thai liebten uns dafür, das ich Ingrid mitgenommen hatte und Ingrid bekam Auslauf und Sunshine Reggae.

Wir starteten unser Projekt Tokhe Land 🐍. Zu uns gesellten sich ein paar Thai Arbeiter, die jedoch lediglich ein paar Tage hielten, bevor sie mal wieder mit dem Geld verschwunden waren und nicht mehr zum Dienst antraten.

Im Laufe der Geschichte lernte ich, dass Thailands Jungs nicht wirklich arbeiten. Die Frauen schmeißen den Laden. Die Männer sind fürs Saufen und Kiffen zuständig. Den Rest erledigen die Frauen. Sie kümmern sich um die Kinder, Eltern und Schwiegereltern, ihren Ehemann und um sich selbst. Dadurch hat die thailändische Frau mehr zu sagen, denn mit der Verantwortung wächst die Macht und mit aller Wucht werden die meisten Männer nach dem ersten oder zweiten Baby ins Niemandsland entsorgt.

Frauen sind in Thailand auf jeden Fall gleichberechtigt. 

Alles Geld geht durch ihre Hände. Wie einst Buddha selbst sind die Jungs unterwegs und kümmern sich einen Scheiß um die Aufgaben. 

Natürlich gibt es Ausnahmen, zumeist in den großen Städten. Dort sind auch Thai Männer am Start.

Der Rest wird von den zahlreichen Burmesen erledigt, die in Thailand oft unbeliebt sind. Thais sind oft rassistisch und glauben echt, sie würden ihnen die Arbeitsplätze wegnehmen. 

Das kann ich nicht bestätigen! Wer arbeitet in Thailand ohne Burmesen oder das weibliche Geschlecht? Fast Niemand!!! 

Dann gibt es in diesem Land noch die chinesische Ethnie, die für das große Geld zuständig ist.

Auf unser Insel und in meinem Projekt blieb ich auch an den Burmesen hängen. Sie knüppeln auch im stärksten Regen, als würde die Sonne scheinen.

Abgehangen und gefangen

Ingrid hing fortan in der Hängematte vor unserem Haus, welches zum Bauland gehörte.

Tan kam und ging und kam. Ingrid ließ es sich gut gehen, wurde hin und her geschaukelt. Sie litt jedoch sehr unter dem Verlust ihrer Enkel, die niemals anriefen und angerufen werden konnten. Weder zu ihrem 85. Geburtstag noch zwischendrin. Ihre Familie machte dieser alten Mutter Vorwürfe bis zum Tod. Ingrid war nicht immer glücklich und zufrieden mit der Situation. Sie litt im Paradies!

Tan ließ mich mehrmals mit ihr im Stich, genau wie die zahlreichen Arbeiter. Es war für mich oft mega frustrierend und nicht zu verstehen, warum sie uns alle hängen ließen, denn wir bezahlten immerhin alle regelmäßig und korrekt.

Ich glaube Tan wollte mehr, ich aber war polyamore und wollte weder heiraten noch sonst was.

Die thailändische Frau habe ich als extrem eifersüchtig erlebt. In diesen Strudel geriet ich zunehmend, mit einer dementen Mutter im Abbau begriffen, die in der Hängematte schaukelte und einer immer schwerer verständlichen Pflegerin und Hilfskraft.

Die heissen Quellen von Ranong

Wir reisten hin und wieder ans Festland, denn Ranong ist bekannt für seine heissen Quellen. Dort waren wir regelmäßig und schwitzen weiter Medikamente und all das, was Menschen, insbesondere alte, auszudünsten haben, aus.

In den heissen Quellen von Ranong wurden die alten Knochen weich gekocht.

Es gab eine wunderschöne, kostenlose Wasseranlage in Ranong, die an den Regenwald angrenzte.

Ingrid bestieg die Bäder oder sie ließ einfach nur die Beine im Wasser baumeln. Ihr Herzschrittmacher wurde einfach nicht gefragt, denn der gute Glaube im Kopf und der Wille waren uns manches Mal wichtiger, als der ewig kontrollierte Sachverstand. 

Alles ergab sich, im vollem Bewusstsein, dass das Leben eine begrenzte Geschichte ist und wie heißt es noch so schön? Lieber kurz leben in Saus und Braus, als lang und lebendig tot.

Ich habe keine Ahnung, wie oft wir baden gingen, aber es war ein Muss!

Das Hotel stellte uns exklusiv einen Fan Room zur Verfügung. Dieser Raum wurde zur vierten Heimat und wo immer wir landeten: wir wurden überall behandelt, als gehörten wir zur Familie.

Die Leute hatten riesig Respekt vor unserer Tour.

Immer wieder teilte mir Ingrid mit, dass sie dankbar sei, dass sie das noch erleben durfte und ich sollte mir niemals Vorwürfe machen, egal was andere darüber dachten. Immer wieder saßen Ingrid und ich im dichten, strammen Regen der Regenzeit auf unserem Motorrad, klatschnass mit einem breiten Grinsen im Gesicht.

Zwischendurch holten wir die Tochter von Tan zu uns auf die Insel, damit Mutter und Tochter vereint waren und Ingrid ein Kind um sich hatte, denn sie liebte Kinder fast fanatisch. Immer wenn wieder mal ein Rotzlöffel in Sicht war, dauerte es meistens nicht lange, bis Ingrid mit ihm in Kontakt trat. Die Kinder gingen sehr unterschiedlich damit um, aber insbesondere Säuglinge grinsten breit, wenn Ingrid ihnen Kinderlieder vorsang und ihre Hände zum „backe backe Kuchen“ schwang.

Ich glaubte manches Mal, sie hätte gerne mit 84 Jahren noch einmal ein Kind gemacht. Nicht nur nachts, wenn sie mir mal wieder im Bett an die Wäsche ging.

Als sie dann am 25.04. 85 Jahre alt wurde, rief niemand ihrer eigenen Kinder bei ihr an, um zu gratulieren. Ingrid wurde nicht durch den Kalender und die Zeitreise des Lebens alleine immer älter, sondern auch weil sie sich ständig Sorgen und Vorwürfe machte, dass sie mit ihren eigenen Kinder alles falsch gemacht hätte. Tatsächlich konnte auch ich nicht verstehen, dass niemals einer bei ihr anrief.

Die Tage auf der Insel und auf meiner Baustelle schaukelten sich durch die immer gleiche Hängematte. Jeden Tag fuhren wir zur einzigen veganen Eisdiele, Kohco mit dem leckeren Kokosnuss ICE. Das war ein Muss. 

Im Kampf gegen die Demenz versuchte ich sie mit Cocosnuss Öl abzufüllen. Angeblich stoppt Coconut oil Demenz. Doch Ingrid war irgendwie immer allergisch gegen Öle. Irgendwas war im Krieg passiert, dass sie plötzlich keine Pflanzenöle mehr mochte, weder im Salat noch auf dem Löffel, den ich täglich in sie zwangslöffelte. Sie biss und kniff dann immer wie ein kleines Kind die Lippen zusammen, und ich musste schnell passen. 

Alles vernünftige Reden, dass Cocosnussöl sie heilen könnte, war vergebliche Liebesmühe.

Ich versuchte ihr noch Cocosfett als Butter unterzujubeln, denn Butter liebte sie, aber es half nichts. Sie ließ sich nicht umstimmen und so stellten wir die Cokostherapie ein. Was blieb war das tägliche Coco ICE cream… In der Eisdiele mit 3 Tischen trafen sich Menschen und hier konnte Ingrid neue Freunde finden und einmal mehr am Tag im Mittelpunkt stehen, mit ihren Geschichten über Polen und Dresden und ihrer Liebe zu Kindern.

Während ich baute, schaukelte sie tagsüber in der Hängematte und Sadda und Soe soe aus Myanmar, die mir später noch viel Geld gestohlen haben, übernahmen die Kurzzeitpflege.

Der Visa Run

4 Wochen bevor Ingrid starb waren wir noch zusammen mit Ingrid zum Visa Run in Burma. Da war dort noch Frieden und kein Krieg.

Ingrid wurde im Rollstuhl in das Longtail Slowboat getragen. Die Menschen halfen ihr überall. Sie bekräftigte mir gegenüber noch einmal, das sie so gerne reisen würde, weil sie ja noch etwas erleben wollte. Da war sie schon fast tot und hing nur noch schlaff im Rollstuhl. Wir schipperten ungefähr 1 Stunde mit dem Boot nach Myanmar. Sie genoss Luft, Leben und fremde Menschen und Kulturen und hatte eine durchaus gesunde Weitsicht zur Lage, doch der Tod saß bereits mit uns im Boot. Auf dem weiten Meer saßen wir in der Sonne und schaukelten und der irre laute Motor des Longtail Bootes knatterte. Ich lehnte mich bei ihr an und sie war schon sehr versteinert. 

Wir bekamen unser Visum und kehrten über die heißen Quellen Ranong zurück nach Hause aus unsere Insel Koh Phayam.

Das Projekt Tokeh Land geriet immer wieder ins Stocken.

Ingrid baute ab, sie verweigerte die Annahme von Nahrungsmitteln. Ich versuchte sie mit Haschöl auf Fresstour zu bringen. Ich musste es extra aus Puket holen und geriet mit meinem Motorrad damit in eine Polizeikontrolle. Nach dem Kauf hatte ich mir mal kurz die Finger geleckt und boing war ich total breit. Die Cops fragten noch, was das sei, worauf ich megabreit antwortete, das sei Medizin für meine Mutter, was ja nicht gelogen war.

 Das Haschöl knallte bei ihr nicht weniger heftig. Ingrid laberte endgültig nur noch halluzinogenen Dünnschiss. 

Ich erkannte sie nicht wieder. Diese alte Frau, meine Mutter, war plötzlich nur noch grottenbreit. Das war selbst mir, mittlerweile selbst völlig runter von Drogen, zu hart. Also stoppte ich die Ganya Medikamentation und wir versuchten es mit flüssigen Brot, Leo Chang Bier 🍻. Das funktionierte ein paar Wochen, doch dann war klar, das Ingrids Zustand zunehmend Richtung Himmel abdriftete. Sie trank nicht einmal mehr Bier, geschweige denn Wasser, was am wichtigsten gewesen wäre. Sie aß nichts und verstummte immer mehr. 

Das Delirium griff um sich.

Ich erinnere mich, dass sie in einem Hotel in Ranong der Meinung war, die Muster der Bettwäsche seien Abziehbilder. Sie versuchte stundenlang die aufgedruckten Blümchen des Bettbezuges abzuziehen. Sie kratzte daran, aber sie bekam sie nicht ab.

Da war sie schon nicht mehr ansprechbar.

Es dauerte nur noch ein paar Tage, bis wir sie fast tot in einem Rollstuhl Richtung Slowboat rollten, um sie noch einmal im Krankenhaus unterzubringen, um zu versuchen, sie wiederzubeleben.

Das war im Nachhinein für mich eine schlimme Entscheidung, denn wenn die Natur uns Menschen zu sich ruft und den Freitod durch Hungern und Verdursten wählt, dann sind Krankenhäuser wenig sinnbringend.

Ich rief Ben an, einen Freund und Arzt und bat um Rat, denn ich war mir nicht sicher, ob es gut sei, Ingrid ins Krankenhaus zu bringen. Der jedoch sagte mir, es sei besser, damit ich und die Gesellschaft mir später keine Vorwürfe machen würden, nicht alles getan zu haben, um sie zu retten. Auch für die Versicherung und die Polizei sei das wichtig, da ich sonst auch hätte beweisen müssen, dass ich nicht meine eigene Mutter umgebracht hätte.

Über den Weg Krankenhaus war es das Einfachste, der Gesellschaft zu entsprechen, natürlich zum Leid der Mutter, die nun mit mir zusammen komplett in sich zusammengesackt neben dem mega lauten Motor des Slowboats in ihrem Rollstuhl saß.

Während der Fahrt nahm ich ein großes leuchtend rosa Tuch und legte es über unsere beiden Köpfe. Als Ingrid die Augen öffnete, umgeben vom rosa Licht des Tuches, musste der fast tote Körper noch einmal breit grinsen. 

Als wir in Ranong ankamen, wurde sie im Rollstuhl auf die Ladefläche eines Pickups getragen. Ich saß neben ihr im Fahrtwind und hielt ihre Hand.

Sie landete im Krankenhaus Ranong, einem öffentlichen Krankenhaus, welches unserer Insel am nächsten war. Meine mittlerweile vierte Pflegehelferin rollte ihre ISO-Matte auf dem Boden des Gruppensaales aus, in den Ingrid eingeliefert wurde.

Von jetzt an begann eine echte Tortur, die ich ihr hätte ersparen wollen und können, wäre da nicht die Gesellschaft gewesen, die Wert darauf legte, dass alte Menschen regulär und offiziell im Krankenhaus sterben, statt zuhause bei ihren Angehörigen.

Sie bekam Schläuche durch die Nase in den Bauch geschoben, was ihr irre weh tat, und an diverse Tropfe gehängt. Um sie herum standen ca. 20 Betten, in denen jeden Tag Menschen vor Schmerzen brüllten und dann verstummten, weil sie gestorben waren. In den zwei Wochen, in denen Ingrid dort aufgepumpt mit Opium verweilte, starben drei ihrer Bettnachbarn..

Am schlimmsten war, dass ich sie wegen der Bakterien und Keime nicht mehr umarmen, küssen und liebmachen, bzw. an die Hand nehmen durfte, das war schlimm, denn Liebe versetzt Berge und macht Tote lebendig.

Die wichtigste Medizin ist Berührung und körperliche Nähe und die wurde gegen Plastikschläuche ausgetauscht.

Ingrids Haut war nur noch dünn wie Reispapier. Überall waren Wunden vom Liegen.

Ihre Pflegerin kümmerte sich, wusch sie und drehte sie,  sie riss sich aber immer wieder die Schläuche und die Nadeln aus ihrem Körper und wurde deswegen immer straffer gefesselt, neu angestochen und mit Schläuchen in ihren Körper versorgt.

Mein Bruder rief an, als Ingrid schon im Sterben lag und machte ihr in dieser Situation immer noch Vorwürfe. 

Das waren unglaubliche Schmerzen.

 

Es war der 20.06.2019 um 7 Uhr morgens. Der Akku meines Telefons war leer und ich unerreichbar, um mir die Nachricht zu übermitteln, das Ingrid gestorben war.

Es ist das erste Mal, dass ich fast anfange zu heulen, während ich das schreibe.

Sie war, die Namen ihrer Kinder laut rufend, von uns gegangen. Ihre Kinder haben sich am Todestag nicht gemeldet. Sie haben niemals nachgefragt, wo Ingrids Urne ist.

Eine Mutter, die für ihre Kinder die Beine breit gemacht hat, um das Beste raus zu holen und daraus zu machen, die ein Leben lang für ihre Kinder um 6 Uhr morgens den Wecker klingeln hörte, um für deren Kindeswohl im Schuldienst anzuschaffen, die immer nur das Beste für sie kaufte, für sie jeden Tag kochte und wusch, wurde von ihren Kindern ums Geld gebracht und um die letzte Ehre. Selbst der Erbvertrag mit ihren letzten Wünschen, wurde von ihrer eigenen Tochter nicht eingelöst.

Ihr letzter Wille geschah nicht. Soviel zum sozialen Bewusstsein der besser gebildeten Menschen in der Bundesrepublik Deutschland!

Der Tod

Als ich um 9 Uhr im Hotel erwachte, war mein Akku wieder aufgeladen und ich sah die Telefonnummer von Ingrids Betreuung im Krankenhaus bei mir im Display. Sofort rief ich an und erfuhr, dass Ingrid verstorben war.

Ich eilte ins Krankenhaus, wo sie am Tag zuvor noch Besuch von Sadda und Soe Soe, meinen Mitarbeitern auf der Baustelle, bekommen hatte.

 

Ingrids Körper war bereits am abkühlen und ihre Haut glich der von kaltem Gummi. Ich deckte sie mit einer bunten Batik zu, voll mit Geckos. Dann kam das Krankenhauspersonal und rollte ihr Bett in den Leichenraum. Dort blieb sie eine weitere Nacht. Das Krankenhaus veranlasste alle notwendigen Schritte und Unterlagen und am nächsten Tag lag Ingrid in einem weissen Sarg, bereit für die Verbrennung.

Ich war schon vorher umhergefahren und schaute nach einem schönen Tempel, wo wir zusammen Abschied nehmen wollten. Ich hatte niemals eine Beerdigung organisiert und schon gar nicht eine buddhistische. Ingrid war ja eine tief gläubige Christin. Sie hatte sich aber schon zu Lebzeiten zu ihrem unausweichlichen Tod geäußert. Beim Besuch des Grabes ihrer Eltern in Bremen, hatte sie mir mitgeteilt, es sei ihr egal, was mit ihr passierte, wenn sie tot sei. Sie würde es mir überlassen.

Na ja, eine Kirche war nicht auszumachen, in der Geschwindigkeit, mit der der Tod gekommen war. Also blieb nur der Tempel und der sollte der Schönste sein. Ich fand ihn unweit dem Stadtzentrum Ranongs.

Eine riesige Tempelanlage. Der Gedanke, sie buddhistisch zu verabschieden, gefiel mir auch deshalb, weil alles, was bis zum Ende bei ihr lief, mit der ewigen Suche nach Glück zu tun hatte, begleitet von ständigem Leid. In dem Bewusstsein, dass Ihre Familie sie verstoßen hatte. Das Leid und die Krankheit waren allgegenwärtig. Dabei war Ingrid doch nur auf der Suche nach dem richtigen Weg ins Glück, welches ihr die Gesellschaft nicht gönnte. Sie wollte doch

immer noch etwas erleben. Ingrid hatte Hunger nach Leben.

Sie liebte Frauen und Kinder und fremde Kulturen. Das Kind, das einst im Nachthemd mit ihrer Mutter durch das brennende Dresden flüchtete und verkohlte Leichen auf Bäumen sitzen sah, war meine Mutter und die lag jetzt tot vor mir in einem Sarg. 

Am nächsten Morgen kam ein Pickup und der Sarg wurde auf die Ladefläche gestellt.

Ich setzte mich neben die weiße Kiste und wir fuhren zum Tempel meiner Wahl.

Dort wurde der Sarg in einem offenen Gebäude aufgebahrt und wir dekorierten ihn mit Blumen und Fotos.

Im Buddhismus verabschiedet sich die Familie je nach Einkommen von den Toten, mit einer Party und einem oft tagelangem Geschlemme, bei dem sich das ganze Dorf den Bauch vollschlagen kann. So eine Party kann bis zu 14 Tage dauern. 

Auf unserer Insel Koh Phayam, wo echt nix los ist, wird so ein Abschied vom Leben zu einem regelrechten Kulturereignis. Die Menschen spielen Tag und Nacht Karten, saufen und zocken um Geld. 

Die Mönche singen ihre allabendlichen Mantra und Hunde und Kinder springen dazwischen. Das ganze Dorf nimmt am Begräbnis teil. 

Der Tote ist nicht alleine, sondern wird gemeinschaftlich losgelassen.

So war es auch bei meiner Mutter. Plötzlich tauchten die ganzen Angehörigen meiner burmesischen Mitarbeiter im Tempel auf. Omi, Opa, Papa und weiß der Geier wer noch.

 Ich war so angenehm überrascht. Plötzlich waren so viele Menschen um mich herum, die Ingrid die letzte Ehre erteilen wollten. Sie blieben alle über Nacht und spielten Karten. 

Manche wie ich schliefen um sie herum auf dem Fußboden. Kerzen brannten und Räucherstäbchen versüßten die Luft. 

Ich hatte diverse vegetarische Fleischplatten organisiert und es gab reichlich zu essen, was insbesondere den hungrigen Myanmar sehr gut gefallen hat. 

Es war eine tolle Beerdigung und ich begriff den Abschied als etwas unglaublich Schönes, auch wenn ich mich erst jetzt, Jahre später, dabei erwische, das mir eine Träne beim Schreiben aus den Augen kullert. 

Ich habe damals nicht einmal geheult. Es gab kein inneres Loslassen, denn das ganze Leid und die ewige Anspannung um die Familie, die ich nicht einmal an diesem Abschiedstag erreichen konnte, waren fortwährend zu groß gewesen. 

Der Tod von Ingrid wurde von Lachen und Erlösung begleitet und nicht von Trauer. 

Es kam mir im Nachhinein irgendwie auch kalt vor. Aber ich denke, der Tod gehört zum Leben und das Leben gehört zum Tod. Beides ist schön und beides tut auch weh.

Für mich waren da wenig Schmerzen. Es passierte zu viel, denn meine Lilli, meine liebe Hündin, die bei meinem Freund Tobias untergebracht war, war am gleichen Tag gestorben. 

Ich war zwischen Tempel Organisation und Beerdigung, als mich diese Nachricht telefonisch erreichte. 

Als dann mein Vermieter auch noch mein Berliner Haus am Wasser kündigte, war es doch zu viel an einem Tag. Ich schickte ihm per WhatsApp ein Foto vom Leichnam meiner Mutter und bat um Aussetzung der Kündigung, was erstmal auch geschah.

Tan und Toi, die Vermieterin von meinem Platz fürs Tokeh Land in Koh Phayam, und andere kamen zu Besuch und gemeinsam lauschten wir den Mantren singenden Mönchen, an Ingrids Sarg.

Am nächsten Tag regnete es in Strömen.

Sie alle waren da, als wir platschnass, erneut zusammen auf der Ladefläche des Pickup saßen und Ingrids Körper in das Feuer gaben. Ich küsste ein letztes Mal ihr steifes Gesicht und wünschte ihr alles Gute im Jenseits.

Die Tür zum Ofen ging auf und Ingrid war nur noch Geschichte. Sie war jetzt Asche.

Ich pflanzte noch ein paar Lemontrees, aus denen allerdings nichts wurde, wie sich Monate nach ihrer Verbrennung, herausstellte. 

Wir verabschiedeten uns auch von den kleinen Mädchen aus Myanmar, die als Familienangehörige meiner burmesischen Mitarbeiter anwesend waren und schluchzten. 

Ich versuchte sie zu trösten. Der Tod ist etwas schönes, er befreit uns von Leid und als nächstes sind wir selbst dran.

Das verbliebene Essen wurde an die Myanmaris verteilt und ich gab allen Besuchern etwas Geld für die Anteilnahme.

Meine Pflegehilfe verabschiedete sich. Am nächsten Morgen kam ich natürlich wie immer unpünktlich beim Verbrennungsofen an, um die Asche meiner Mutter in die Urne zu fegen. 

Der Mönch qualmte wegen meiner Verspätung, doch ich dachte mir, Buddha Buddha bleib locker, alles im Fluss.

In der Asche waren all ihre Nägel und Prothesen sowie der Herzschrittmacher.

Ich habe niemals sowas erlebt. Jetzt weiß ich wie es geht. Zusammen mit der Urne unterm Arm ging es zurück zu uns auf die Insel Koh Phayam. 

Ingrids Urne parkt quasi im Tempel und wartet auf andere Zeiten. Darauf, daß ihre Enkel und andere Angehörige kommen und ihr endlich die letzte Ehre erweisen. 

Der Tempel befindet sich direkt neben dem Tokeh Land, meinem Projekt. Ingrid und ich sind jetzt Nachbarn, in Südthailand an der Grenze zu Myanmar, am echten Arsch der Welt.

Ingrid kann den Mönchen täglich beim Sprechgesang lauschen. Sie war sehr musikalisch. Insofern ist ihr Platz in einem buddhistischen Tempel zwischen all den anderen Urnen eigentlich perfekt.

Ich kehrte Monate später noch einmal zurück zum Tempel, in dem wir von ihr Abschied genommen hatten, denn ich kam dort gerade vorbei. Da sah ich einen neuen Sarg an derselben Stelle stehen. Das Portrait auf dem Sarg zeigte ein wunderschönes junges Mädchen das sich, wie sich herausgestellte, in Coronazeiten das Leben genommen hat. 

In der Regel wird der Tod im Buddhismus mit Fassung getragen und der Umgang ist relativ emotionslos, denn immerhin bedeutet der Tod ja eine Befreiung vom Leid. Bei diesem Mädchen gingen die Eltern aber nicht freundlich mit dem Tod um. 

Nach der Lehre des Buddhas soll jeder Mensch frei über sein Leben verfügen. Ein Suizid ist nicht verboten und auch keine Schande. Der Mensch schadet sich mit seinem Freitod selbst, weil er damit seine Probleme nicht bewältigt, sondern sie nur ins nächste Leben verschiebt.

Natürlich kenne ich nichts genaues von den Umständen ihres Todes, allerdings kann ich mir denken, daß die Eltern ihrem toten Kind nicht gerade positiv gegenüber standen. Sie schienen sauer auf ihre tote Tochter zu sein. 

Da, wo meine 85 jährige Mutter auf das Feuer gewartet hatte, lag nun ein junges Mädchen, welches es ziemlich eilig in die Urne hatte. Sie war mit 120 km Stundenkilometern durch die Stadt gefahren und vor einer Mauer aufgeschlagen. Die Stimmung bei der Beerdigung war wirklich nicht gut.

Auf beiden Augen richtig blind

Jetzt war ich plötzlich total alleine. Keine Mutter mehr, keine Freunde. Meine Lilli war tot und ich bat Tobias darum, sie in seinem Garten einzubuddeln und einen Kirschbaum auf sie zu pflanzen. Ich finde es toll, wenn in den Kirschen ihre Energie ist.

Leider hat Tobias den Garten nicht mehr und so ist der Kirschbaum mit der letzten Ruhestätte für mich unerreichbar.

Das tut mir am meisten weh, denn Lilli war immer mein Seelenspiegel und meine treueste Freundin, die ich je hatte. Sie litt mit mir und half mir oft als Hündin. Sie war ein riesiger Schatz und starb mit 15 Jahren an Prostatakrebs, alleine ohne mich.

Es macht mich allerdings froh, dass sie noch eine Woche vor ihrem Tod mit Tobias in der Havel baden ging. Lilli liebte Wasser. Sie war eine echte Wasserratte.

Sie starb am gleichen Tag meiner Mutter und ich war plötzlich komplett alleine. 

Als ich wenigstens meine letzte verbliebene Tante Christel anrufen wollte, mit der ich immer so schön über das Leben philosophieren konnte, um mit jemanden zu sprechen, ging auch sie nicht mehr ans Telefon. 

Auch sie war 14 Tage vorher gestorben. Niemand hatte mich davon benachrichtigt. 

Der Unfall

Es war eine unglaubliche Leere in mir, als ich mit dem Motorrad abschmierte und mich unter der Maschine wieder fand. Mein Arm war irgendwie ausgehebelt.

Die ganzen Toten und jetzt dieser Unfall, doch selbst das war noch nicht genug.

Als ich am nächsten Tag bei mir im Tokeh Land erwachte, hatte ich Horror Schmerzen, doch dazu kam eine Netzhautablösung, wie sich später herausstellte. 

Durch mein linkes Auge wanderten aus dem Nichts kommend, Ameisen 🐜 und Mücken in schwarz-weiss, wie Schattenspiele hin und her.

Plötzlich waren da Milliarden Punkte, wie im Fernsehprogramm nach Feierabend, wenn es auf der Glotze punktelt, brutzelt und schneit. Irgendwie war bei mir im Auge Sendepause. 

Ich vergaß meinen Arm, so beeindruckt war ich vom Spektakel um mein Auge. Ich fuhr nach Surat Thani, der nächsten großen Stadt mit Augen Klinik. Die wollten mir einen Termin in drei Monaten geben. 

Doch dank Google fand ich heraus, das ich eine “Retina Detachement” hatte, und diese innerhalb von 7 Tagen operiert werden musste, um eine vollständige Erblindung abzuwenden.

Auf dem Rückweg nach Ranong wollte ich mich nicht damit abfinden und glaubte immer noch, dass das alles nur ein Traum sei. 

Doch schon im Bus bemerkte ich, wie sich ein schwarzer Balken in meinem Auge von unten nach oben vergrößerte. In Ranong angekommen, war mein Auge schwarz und ich war vollständig erblindet.

Also fuhr ich zurück nach Surat Thani, um mir einen vorzeitigen Termin zur OP zu erkämpfen. 

Die Ärzte im Krankenhaus jedoch teilten mir mit, ich solle alles stehen und liegen lassen und nach Deutschland zurückkehren, denn dort seien genügend weltweit führende Spezialisten, was Augenoperationen betrifft.

Also rief ich die Airline an, die den Flug Bangkok-Berlin umgehend buchte. Ohne nach Tokeh Land zurückzukehren, landete ich, lediglich eine Plastiktüte mit dem Nötigsten unterm Arm, auf dem Flughafen Berlin-Tegel. 

Mein riesiger Dank geht an Oliver aus Berlin, der mich vom Flughafen abholte. Niemand meiner Freunde war sonst gekommen, obwohl ich gerade alle verloren hatte, die mir lieb und wichtig waren. So einsam ist das Leben plötzlich um einen herum. 

Doch mit Einsamkeit kenne ich mich ohnehin aus, nicht selten will ich es selbst wahrscheinlich nicht anders, sonst würde es nicht ständig so sein. 

Oliver B., ein lieber Mensch aus der Berliner Hardcore Drogenszene, stand am Flughafen und nahm mich halbseitige Blindschleiche in seine Arme. 

Er hatte alles über social Media verfolgt und sich bei mir gemeldet, er wolle sich um mich kümmern. Das sind wirklich nette Augenblicke. Ohne ihn wäre niemand da gewesen.

Es ging direkt vom Flughafen Tegel ins Charité auf den Operationstisch. Ich lächelte noch die langhaarigen OP Helfer in ihren Grünen Kitteln an, als die Spritze mich in die Narkose entließ.

Sie öffneten mit einem freundlichen Schnitt mein Auge und zapften den 80% tigen Wasseranteil ab. 

Dann wurde das Auge wie ein Ballon mit Gas aufgepumpt, bis die abgelöste Netzhaut von hinten daran drückte. Das Auge wurde zugenäht.

Als ich im Krankenzimmer erwachte, war ich nicht mehr blind. Ich hatte den Durchblick zurück bekommen.

Keine Mücken, Hunde, Ameisen oder Geckos, die mir ständig durchs Auge huschten und auch keine ewige Dunkelheit mehr. 

Das zweite Mal nach dem rechten Auge damals hatte es die Schulmedizin geschafft, mir auch das linke Auge zusammen zu tackern und meine Sicht so gerettet. 

Davor zieh ich meinen Hut und bedanke mich ausdrücklich bei der Schulmedizin für diese Wunder.

Langsam bildete sich wieder Wasser im Auge. Ich sah, wie es das Gas langsam verdrängte. Wenn ich den Kopf schüttelte, schlug das Wasser im Auge Wellen.

Alle, die ich lieb hatte, waren von mir gegangen, doch mein Augenlicht hatte ich zurück erhalten.

Manchmal sind wir blind, ohne es zu sehen und manchmal sind wir blind, weil wir wirklich nichts mehr sehen.

Die Tour Demenz war zu Ende.

Es sollte weitere 6 Monate dauern, bis ich mit Adrian zusammen im Flugzeug saß, um mein „Projekt Pollution Revolution Now“! fortzusetzen.

Fundee, mein Motorrad Hund, saß noch Monate später bei mir im einsamen „Tokeh🦎Land“ und wartete darauf, dass ich zurückkehren würde.

So treu sind verrückte Hunde!

Ich grüße alle, die vor mir gestorben sind!

Bitte lasst mich niemals im Altersheim sterben, bitte niemals im Krankenhaus. Bitte lasst mich ins Feuer kippen oder beim Tanzen umkippen. 

Bitte erlöst mich mit der humanen Sterbehilfe und zwei kurzen Drinks, statt mich leiden zu lassen in einem System, welches sich spätestens mit Corona immer weiter von den Heilkräften der Natur abgewendet und den Pharmakonzernen zugewendet hat!!!

Bitte lasst mich sterben und nicht im Namen der Doppelmoral und seiner Gesellschaft leiden! 

Ich würde es immer wieder so tun, egal wie schwierig und scheisse ich Ingrid gegenüber manchmal war. Trotz der Heiserkeit vom Brüllen und der Spucke in unserem Gesicht.

Das Leben ist ein Gefängnis, wir sind gefangen im Kreislauf der Widersprüche und irren durch unsere grauen Zellen hin und her. Egal, wie sehr wir dran drehen, irgendwann geht’s raus aus dem Knast, der sich das Leben nennt.

Das Leben ist eine Fahrt durch Deine Hülle, deine Seele bleibt jung und frisch wie am ersten Tag, doch deine Hülle zerfällt und dein Geist versucht vergeblich, das zu verhindern.

Zwischen schwarz und weiß sind die Farben gefangen. Malen wir die grauen Zellen, durch die wir irren bunt an, und zeigen wir allen den Stinkefinger, die uns in ihr Angstsystem zwingen!!!

Diese Geschichte findet jetzt ihr vorläufiges Ende doch sie mündet in das Projekt 

Tokeh 🦎 Land in Koh Phayam.

Die Tour Demenz ist zu Ende

doch das Projekt geht weiter!